Dienste, Druck und Dauerstress

Krasser Einblick in den Klinikalltag: So hart arbeiten junge Docs

16.01.2024 um 16:44 Uhr

Ein Blick hinter die Kulissen der Krankenhäuser: Eine ZDF-Doku aus der Reihe „37 Grad“ begleitet Nachwuchsmediziner durch ihr erstes Berufsjahr.

Ein Artikel von TV Digital Reporterin Mirja Halbig

Die Uhr tickt. Es ist kurz nach Mitternacht. Mit schnellen Schritten eilt Assistenzarzt Julian über den hell erleuchteten Flur der Intensivstation des Bochumer Uniklinikums Bergmannsheil. Er muss zu einer Patientin. Aus den Zimmern piepen die Geräte. Es ist die erste Nacht, in der der 27-Jährige als einzig verantwortlicher Arzt auf der Station Dienst hat. Eine enorme Herausforderung. Julian ist einer von drei jungen Menschen, die Autorin und Regisseurin Nadja Kölling für die ZDF-Reihe „37 Grad“ über ein Jahr lang beim Berufseinstieg als Mediziner begleitete. Oft wird über die Misere in den Kliniken diskutiert, etwa darüber, welche Reformen nötig wären, um die Situation zu verbessern.

Der Druck für die jungen Docs ist immens

Was es überhaupt bedeutet, sich für den Arztberuf zu entscheiden, und welch enorme Belastung es ist, zeigt nun die Dokumentation „Dienste, Druck und Dauerstress: Junge Docs in der Klinik“ am Dienstag, 16. Januar 20.15 Uhr im ZDF. Filmemacherin Kölling berichtet, was sie bei den Dreharbeiten am meisten überrascht hat. „Ich wollte den Klinikalltag mal aus einer neuen Perspektive beleuchten“, sagt die Regisseurin. „Es gibt nur wenige Berufe, in denen es als Berufsanfänger schon um Leben und Tod geht. Der Druck, der auf diesen jungen Menschen lastet, ist immens. Das habe ich mir vorher nicht so extrem vorgestellt.“

So beginnt Julians erster Dienst um 19 Uhr und endet am nächsten Morgen um 8 Uhr. Das bedeutet, 13 Stunden hoch konzentriert zu sein, kaum Zeit zu haben, etwas zu essen oder zu trinken, geschweige Pausen zu machen. Die Intensivstation gilt als die härteste, aber auch die beste Schule für die Nachwuchsmediziner, weil sie dort viel lernen. Julian berichtet: „Ich kann natürlich jederzeit einen Oberarzt anrufen, auch nachts, wenn ich einen Rat brauche. Aber vor Ort bin ich erst mal allein für bis zu zehn Intensivpatienten verantwortlich. Und bei einem Notfall oder Komplikationen muss ich erst einmal ganz alleine entscheiden und handeln.“

Neben Julian wurde auch die 26-jährige Jule mit der Kamera begleitet, die gerade in Schwerin ihre Facharztausbildung zur Chirurgin macht – und zwar in derselben Klinik, in der ihre Mutter als Neurochirurgin tätig ist. „In den 1990ern hat diese begonnen, dort zu arbeiten. Sie hat uns erzählt, dass der Job unterdessen deutlich umfangreicher geworden ist. Da ist kaum Zeit für ein intensives Privatleben“, berichtet Nadja Kölling. „Aber alle Protagonisten meiner Doku eint, dass sie mit Leidenschaft dabei sind und deshalb auch bereit, ihr Leben in dieser Phase dem Job zu widmen. Ob auf der Intensivstation oder in der Notaufnahme – sie sind adrenalingepuscht, weil es so aufregend ist und weil sie die ganze Zeit funktionieren müssen.“

Im Lauf der Jahre kann dies auch körperliche Folgen haben, wie eine Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege belegt, die im Frühjahr 2023 veröffentlicht wurde: Demnach arbeiten 71 Prozent der befragten Assistenzärzte mehr als 48 Stunden pro Woche. 20 Prozent von ihnen kommen nach einer Umfrage der Ärztegewerkschaft Marburger Bund auf mehr als 60 Wochenstunden. Betroffene Mediziner berichten, dass sie ihren Patienten raten, Stress zu reduzieren, sich gesund zu ernähren und auf sich aufzupassen, aber dies für sich selbst oft nicht leisten könnten. Das hat Folgen: Fast 64 Prozent der Befragten gaben an, ihre Gesundheit sei belastet. 56 Prozent berichten von Burnout-Symptomen – mehr als jeder Zweite. „Es gibt kaum andere Jobs, die psychisch und physisch so belastend sein können“, weiß Filmemacherin Kölling.

Der Job in der Klinik ist wie ein Sprung ins kalte Wasser

„Alle Protagonisten waren sich einig: Ihre erste Wiederbelebung werden sie wohl nie vergessen. Manche Patienten sind auch einfach nicht mehr zu retten – damit klarzukommen ist nicht leicht.“ In den Gesprächen mit den jungen Ärzten hat Kölling erfahren, dass sie im Studium nur sehr vage auf diese Situationen vorbereitet wurden – der Job in der Klinik ist wie ein Sprung ins kalte Wasser. Umso positiver war die Erfahrung, dass sie in ihrem Job von den Patienten ernst genommen werden. „Nur ganz selten waren Menschen skeptisch, ob so junge Mediziner auch wirklich gut behandeln können“, so Kölling. „Ihnen wurde fast immer großes Vertrauen entgegengebracht. Dabei war es sehr beeindruckend zu erleben, wie sie vorgehen: Um Fehler zu vermeiden, prüfen sie bei einer Entscheidung lieber 20-mal, ob diese auch Sinn macht und Erfolg versprechend ist.“

Die Zahl der Medizinstudenten ist in den vergangenen Jahren weiter gestiegen, ebenso jene der bei der Bundesärztekammer registrierten Mediziner. Dennoch steuert Deutschland weiter auf einen Ärztemangel zu, eine flächendeckend gute Versorgung ist nicht gewährleistet. Grund dafür ist der demografische Wandel: Die Bevölkerung wird im Schnitt immer älter. Mehr als ein Fünftel aller Ärzte in Deutschland ist aktuell selbst über 60 Jahre alt und steht somit kurz vor dem Ruhestand. Umso wichtiger ist die Doku von Filmemacherin Nadja Kölling: Sie zeigt, wie bedeutend guter Nachwuchs ist.

Julians Fazit nach einem Jahr als Klinikarzt macht Hoffnung, dass sich weiterhin junge Menschen für diesen Beruf entscheiden: „Ich glaube, dass das auf jeden Fall mein Traumjob ist. Ich würde mich immer wieder dafür entscheiden, aber es ist deutlich krasser, als ich erwartet hätte: deutlich mehr Verantwortung, die Belastung ist extremer. Dass die Anforderungen hoch sind, war klar, aber wie viel Verantwortung es schlussendlich wirklich ist – das merkt man erst mit der Zeit.“

"37 Grad":  Dienste, Druck und Dauerstress, Di, 16. Januar, 22.15 Uhr im ZDF und hier in der ZDF Mediathek. 

 

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