Neuer Aufreger

Wie kommt heute ein Film wie "Der junge Winnetou" zustande und warum wird das Buch nicht mehr ausgeliefert?

24.08.2022 um 10:22 Uhr

Viele haben in den letzten Jahren angefangen zu lernen, wie man über Jahrhunderte diskriminierte, verletzte und ungerecht behandelte Menschen nicht noch weiter verletzt, diskriminiert und ungerecht behandelt. Doch dann kam dieser Film. Und das Begleitbuch, das nun von Ravensburger Verlag zurückgezogen wurde, was für weitere öffentliche Aufregung sorgt.

Gleich vorab sei gesagt, dass die Autorin dieses Artikels den Macher*innen und den teils sehr jungen Darsteller*innen vom Film "Der junge Häuptling Winnetou" keine böse Absicht unterstellt. Vermutlich hat man in einer gewissen Karl-May-Nostalgie überlegt, dass man doch was Neues und Modernes zum Thema liefern könnte und dann dieses Abenteuer über die Jugendjahre des bekannten Romanhelden erdacht.

Wie sich allerdings erwachsene Menschen heutzutage bei so einem Thema nicht der Sensibilität bewusst sein können, ist schwer nachzuvollziehen. Wir leben ja nicht mehr wie Winnetou-Fabulierer Karl May im ausgehenden 19. Jahrhundert. Und selbst der hätte vieles besser wissen können.

Warum hat im langwierigen Prozess des Filmemachens nicht einmal jemand überlegt, wie klug es ist, heute als weiße Deutsche einen Film über Apachen zu drehen? Ureinwohner Nordamerikas, die von weißen Menschen kolonialisiert, getötet und ihres Landes beraubt wurden, die bis heute oft mit größter Ungerechtigkeit behandelt und selbst selten in Mainstream-Medien angemessen repräsentiert werden?

Wie konnte man KEIN schlechtes Gefühl dabei haben, die zentralen Rollen der Natives mit Nicht-Natives zu besetzen? Es ist außerdem sehr wahrscheinlich, dass keine lange Recherche und Austausch mit Expert*innen vorausging, was die angemessene Repräsentation von Kleidung, Traditionen und Kultur betrifft. 

Neue Aufregung um das Buch 

Nicht wenige hat das Erscheinen dieses Films entsetzt. Native Personen selbst und Menschen, die keine Reproduktion rassistischer Stereotypen in Kinderunterhaltung sehen wollen, haben sich lautstark im Web gegen den Film, aber auch gegen die im Ravensburger Verlag erscheinenden Begleitbücher für Erstleser*innen und Kinder ab acht Jahren ausgesprochen. Die Folge: Der Ravensburger Verlag stoppte nun die Auslieferung der Produkte mit einer Entschuldigung:

Die Reaktion: Mit der im Netz üblichen Vehemenz kann man gerade unter diesem Post des Ravensburger Verlages die üblichen Klagen lesen, dass das doch nur ein Kinderbuch und Unterhaltung sei und warum man das denn jetzt auch noch verbieten würde. Dazu sollte bedacht werden, dass Rassismus in keiner Form richtig ist - ob als Kinderfilm oder als Instagramkommentar. Und dass er die Betroffenen verletzt, egal ob dahinter ein finsterer Plan mit böser Absicht steckt, oder ein eigentlich ganz netter Mensch, der aber keine Lust auf Recherche, angemessene Repräsentation oder den Abschied von problematischen Lieblingsbüchern/-filmen der eigenen Jugend hat. 

Wer jetzt zu Wort kommt

In den Medien kommen zum Aufreger um den Buchstopp aktuell vor allem weiße Menschen zu Wort, wie der offenbar für die Karl-May-Gesellschaft beratend tätige Kunstpädagogikprofessor Andreas Brenne von der Universität Potsdam, Uschi Glas, die einst selbst als "Halbblut Apantaschi" eine Native darstellte, und die Geschäftsführerin der Bad Segeberger Karl-May-Festspiele Ute Thienel zu Wort, die alle feststellen, dass das Buch (der Film/die Segeberger Spiele) doch nicht so oder gar nicht fragwürdig seien. Wie sinnvoll es ist, zur Exitsenzberechtigung von zur Unterhaltung in Kauf genommenen rassistischen Klischees diejenigen um eine Bewertung zu bitten, die an deren Verbreitung beteiligt sind oder waren, ist ein Frage, die hier gestellt werden sollte.

Hier die Meinung einer tatsächlichen betroffenen nativen Person, die von Deutschlandfunk interviewt wurde:

Eine gute Alternative

Ob Film oder Buch: Schade und traurig, dass so viel in etwas in den Grundzügen so Rückwärtsgewandtes investiert wurde. Ganz besonders deshalb, weil die Zielgruppe eine junge ist, denen man diese letztlich rassistischen Stereotypen und Strukturen am allerwenigsten vorsetzen sollte.

Wer gerne einen aktuellen Blick in das Leben indigener Menschen in den USA werfen will, dem sei von Herzen "Reservation Dogs" empfohlen, die Dramödie um eine Gruppe indigener Teenager im ländlichen Oklahoma :

Schöpfer, ausführende Produzenten und Regisseure der humorigen, bewegenden und ausgezeichneten Serie sind der oscarprämierte neuseeländische Regisseur Taika Waititi und der Native American Filmemacher Sterlin Harjio. Die im Zentrum stehenden indigenen Charaktere werden ausschließlich von indigenen Darsteller*innen verkörpert. Auch hinter der Kamera waren fast nur nordamerikanische indigene Personen am Werk.

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